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Channel: Deutsches Museum Blog

Fünf spannende Fakten über unsere DNA

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Sorgfältig aufgetrennt: Aus dem Muster der DNA-Fragmente kann im Labor das Erbgut Stück für Stück entschlüsselt werden. Von Dr. Margherita Kemper und Dr. Christine Kolczewski Das Zentrum Neue Technologien und die Ausstellung Nano- und Biotechnologie sind wegen Umbaumaßnahmen seit September 2020 leider geschlossen. Als digitalen Ersatz bloggen unsere Kuratorinnen für Life Science und Nano- und Biotechnologie in loser Folge über aktuelle Themen aus ihren Fachbereichen. Los geht’s mit einem Beitrag, der in Zusammenarbeit mit der Amgen GmbH entstanden ist. Das Biotechnologieunternehmen mit Sitz in München unterstützt als Gründungspartner das Zentrum Neue Technologien und die Ausstellung Nano- und Biotechnologie. Unser Erbgut, die DNA, ist der Bauplan des Lebens. Sie steckt in (fast) jeder unserer Zellen, egal ob Herz-, Muskel- oder Gehirnzelle. Unser Erbgut entscheidet zum Beispiel darüber, wie wir aussehen oder welche Blutgruppe wir haben. Das ist aber noch nicht alles – wir erläutern im Folgenden fünf spannende Fakten zur Funktion und Struktur der DNA. Wussten Sie, dass Ihr genetischer Code doch nicht all das bestimmt, was Sie ausmacht?###MORE### Die DNA… … ist einer von drei Grundpfeilern der Molekularbiologie Unsere genetische Information, die Desoxyribonukleinsäure (DNS, engl. DNA), ist in fast jeder Zelle unseres Körpers im Zellkern gespeichert. Eine Ausnahme bilden die roten Blutkörperchen, die sich stetig im Knochenmark aus Stammzellen entwickeln und in ausgereiftem Zustand keinen Zellkern und keine DNA mehr enthalten. Die DNA enthält kodierende Abschnitte, die Gene – sie sind die Bauanleitung für lebenswichtige Proteine. Damit diese gebildet werden können, muss die DNA zunächst in „Boten“-Ribonukleinsäure, auch messenger Ribonukleinsäure (mRNS, engl. mRNA) genannt, umgeschrieben werden. mRNA wird im Zellkern gebildet, verlässt ihn in Richtung Zytoplasma und dient dort als Vorlage zur Proteinbiosynthese. Der ganze Prozess funktioniert in menschlichen Zellen nur in eine Richtung: DNA wird in RNA umgeschrieben, die wiederum in Proteine übersetzt wird. Enzyme für das Übersetzen von RNA in DNA haben Menschen nicht.   Im Deutschen Museum können Sie sich in der Pharmazieabteilung das Innenleben einer Zelle genauer anschauen und verschiedene Typen von Körperzellen kennenlernen. Chromosomen in ihrer kompakten Form, aufgenommen mit dem Rasterkraftmikroskop im Gläsernen Forscherlabor. © Deutsches Museum … ist meist nicht in Chromosomen organisiert   Betrachtet man Bilder der DNA, sieht man häufig unsere X-förmigen Chromosomen. In dieser kompakten Form existiert die DNA tatsächlich aber nur kurzzeitig, nämlich während der Zellteilung. So wird ermöglicht, dass die genetische Information geordnet an die neu gebildete Zelle weitergegeben werden kann. In allen anderen Phasen des Zellzyklus sind die meterlangen DNA-Stränge lockerer gepackt. Schließlich muss unsere genetische Information für Proteine zugänglich sein, um in RNA umgeschrieben zu werden. Die Modellpflanze Arabidopsis thaliana (Ackerschmalwand): Wer hätte wohl vor der Sequenzierung der Genome gedacht, dass sie genauso viele Gene hat wie ein Mensch? © Deutsches Museum
Die Fruchtfliege hat etwa halb so viele Gene wie der Mensch. © Deutsches Museum … enthält weniger Gene als gedacht   Das menschliche Genom – also die Gesamtheit unseres Erbguts – ist mehr als vier Mal größer als das des Gemüsekohls. Trotzdem hat der Gemüsekohl 100.000 verschiedene Gene und der Mensch nur 23.000. Das liegt daran, dass 95 Prozent unserer DNA keine Protein-kodierende Funktion hat. Unsere Gene machen folglich nur fünf Prozent unseres Genoms aus. Nichtkodierende DNA (engl. noncoding DNA) ist aber kein funktionsloser DNA-Müll, wie man zunächst angenommen hatte. Die Sequenzen haben regulatorische Funktionen und können Gene ein- oder ausschalten oder die Häufigkeit, mit der sie in Proteine umgesetzt werden bzw. in RNA umgeschrieben werden, regulieren. An sogenannten Modellorganismen wird im Labor erforscht, welche Funktion ein spezifisches Gen hat. Erstaunlich ist, dass der Mensch nur etwa doppelt so viele Gene hat wie die Fruchtfliege und genauso viele wie die Ackerschmalwand. Um Proteingemische zu untersuchen, verwendet man ein Massenspektrometer wie den hier gezeigten Prototypen eines MALDI-Spektrometers ( m atrix- a ssisted l aser d esorption / i onisation). © Deutsches Museum … bestimmt nicht alles allein   Die genetische Information ist in jeder Zelle eines Organismus identisch. Wie können trotzdem unterschiedliche Zelltypen entstehen, die eine Reihe an verschiedenen Organen formen? Wie kann es also zum Beispiel sein, dass sich die Raupe in einen Schmetterling verwandelt? Dies wird maßgeblich von der Genaktivität und damit dem Proteom (Gesamtheit aller Proteine) bestimmt, das sich mit dem Entwicklungsstand, dem Alter, aber auch den Umweltbedingungen verändert. Diese biochemischen Anpassungen bestimmen, ob ein Gen zugänglich ist und abgelesen werden kann oder stillgelegt (engl. silenced) ist. Beispielsweise werden manche Gene nach der Embryonalentwicklung ausgeschaltet. Die Genfunktion wird also beeinflusst, obwohl die DNA-Sequenz sich nicht ändert, wie es bei einer Mutation der Fall wäre. Reguliert wird das zum einen durch Steuerungsgene und Transkriptionsfaktoren, aber auch über die sogenannte epigenetische Prägung. Diese ist von Umweltfaktoren beeinflussbar und kann an Nachkommen vererbt werden. Mit dem „Genome Sequencer 20“ (Baujahr 2007) kann die Sequenz eines DNA-Abschnitts sehr schnell bestimmt werden. © Deutsches Museum
Die Ergebnisse einer Sequenzierung erhält man in Form eines Gels. Früher musste es aufwändig von Hand ausgewertet werden. Heute erhalten Labore das Ergebnis schnell und digital. © Deutsches Museum … beeinflusst die Wirkung von Arzneimitteln   Nicht jedes Medikament schlägt bei jeder Patientin oder jedem Patienten gleich gut an. Variationen im Erbgut, wie die des hauptsächlich in der Leber vorkommenden Enzyms Cytochrom P450, können die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Arzneimitteln beeinflussen. An diesem Punkt setzt die personalisierte Medizin an. Durch eine Analyse des Erbguts der Patientin oder des Patienten kann das für sie oder ihn am besten passende Arzneimittel ausgewählt werden: Die Wirksamkeit kann so verbessert und mögliche Nebenwirkungen verhindert werden. Das spielt beispielsweise bei der Behandlung von Krebs eine wichtige Rolle, denn Krebserkrankungen basieren auf Veränderungen im Erbgut. Welche Abweichung vorliegt, ist bei jeder Patientin und bei jedem Patienten unterschiedlich. Mit Hilfe einer Analyse der Tumor-DNA können bestimmte genetische Veränderungen nachgewiesen werden. Dies geschieht meist über die Entschlüsselung (Sequenzierung) von krebsspezifischen Genen und die Analyse dazu, ob und wie diese verändert sind. Anhand dessen kann dann eine passende Therapie ausgewählt werden. Nach ihrem Volontariat am Deutschen Museum hat Margherita Kemper als Kuratorin den Bereich Life Sciences übernommen. Daher ist die promovierte Biologin auch für das DNA-Besucherlabor im Zentrum Neue Technologien verantwortlich. Dort können Besucher selbst an Laborgeräten unter Anleitung Analysen durchführen. (Ein heißer Tipp für alle, die meinen, sie würden im Deutschen Museum eh schon alles kennen!). Ansonsten ist der Blog für sie interessant, weil sie derzeit an verschiedenen Projekten wie der Erstellung von Sonder- oder Dauerausstellungen mitwirkt und es während deren Planungs- und Laufzeiten immer mal wieder Spannendes zu neuen Exponaten oder zu Mitmach-Aktionen zu berichten gibt. Christine Kolczewski leitet das Zentrum Neue Technologien (ZNT) und ist Kuratorin für Nano- und Biowissenschaften. Neben der Betreuung und Aktualisierung der Sammlung und Ausstellung zur Nano- und Biotechnologie gehört auch die Entwicklung und Planung von Veranstaltungen zum Thema Neue Technologien zu ihren Aufgaben. Außerdem leitet sie die Abteilung Ausstellungsprojekte Sonderausstellungen und ist Ansprechpartnerin für alle großen und kleinen Sonderausstellungen auf der Insel.   Ihr Tipp für einen Museumsbesuch: Die Abteilung Technisches Spielzeug – weil man zum Spielen und Entdecken nie zu alt ist.

Energie für den Mars-Rover Perseverance

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Plutonium auf dem Mars! Mars-Rover Perseverance (Grafik) auf dem Mars. Ganz rechts ist die leicht nach oben abstehende Radionuklidbatterie zu erkennen. Quelle: NASA Von Dr. Matthias Knopp
Am 18. Februar 2021 landete der etwa PKW große Mars-Rover Perseverance der NASA im Jezero-Krater auf dem Mars – ein großer Erfolg für die amerikanische Raumfahrt. Das komplizierte Lande-Manöver mit Abbremsschild, Fallschirm, Bremsraketen und Seilsystemen funktionierte vollautomatisch und reibungslos.###MORE### Rund 11 Minuten brauchten die Funksignale vom Mars zur Erde, keine Chance die Landung aktiv von der Erde aus zu steuern. Es dauerte nur wenige Minuten, bis der gelandete Mars-Rover erste kleine Fotos übertrug, die letzten eindeutigen Beweise für die geglückte Landung. Oft herrscht die allgemeine Meinung, dass Raumfahrtgeräte wie Satelliten und Raumsonden ihre Energie ausschließlich von Solarzellen beziehen. Gerade bei Raumsonden und auch bei Mars-Fahrzeugen garantieren Solarzellen aber keine ausreichende Energieversorgung. Der erfolgreiche amerikanische Mars-Rover Opportunity gab 2018 seinen Geist auf, weil seine Solarzellen von einem Staubsturm außer Funktion gesetzt wurden und nicht mehr funktionierten. Raumsonden zu den fernen Planeten Jupiter und Saturn können auch keine Solarzellen mehr verwenden, weil die Sonne schon zu weit weg ist. Hier kommt die Radioaktivität als Energiequelle ins Spiel. Die Energielieferanten der Raumsonden sind Radioisotopengeneratoren, auf englisch „Radioisotope Thermoelectric Generator, abgekürzt RTG. Hier wird die beim radioaktiven Zerfall entstehende Wärme über den Seebeck-Effekt direkt in elektrische Energie umgewandelt. Der deutsche Physiker Thomas Johann Seebeck entdeckte 1821 den thermoelektrischen Effekt, der später nach ihm benannt wurde. Es ist ein Phänomen, bei dem eine Temperaturdifferenz zwischen zwei unterschiedlichen elektrischen Leitern oder Halbleitern eine Spannungsdifferenz zwischen den beiden Substanzen erzeugt. Radionuklidbatterie des Mars-Rovers Perseverance. Die einzelnen Teile sind zur besseren Verständlichkeit auseinandergezogen. Die Kühlbleche strahlen die überschüssige Wärme ab und vermeiden so eine Überhitzung der Batterie. Radionuklidbatterien sind also eine Kombination von radioaktiven Isotopen, die über ihre Zerfallswärme eine Temperaturdifferenz in geeigneten Materialien erzeugen. Sie sind klein, kompakt und kommen ohne bewegliche Teile aus. Sie sind autonom, wartungsfrei und können über Jahre bis Jahrzehnte hinweg elektrische Energie liefern. Glühendes 238Plutoniumdioxid Pellet. Der Alpha-Zerfall erzeugt soviel Wärme, dass das Plutonium anfängt zu glühen. Quelle: US Department of Energy Der Mars-Rover Perseverance, wie auch verschiedene seiner Vorgänger, verwenden das Plutonium-Isotop 238Pu mit einer Halbwertszeit von 87,7 Jahren. Das radioaktive 238Pu zerfällt über Alpha-Strahlung. Die im Material abgebremsten Alpha-Teilchen deponieren dabei ihre kinetische Energie in Form von Wärme. Ein Alpha-Strahler lässt sich außerdem leicht abschirmen, man will schließlich die empfindlichen Instrumente des Rovers nicht durch radioaktive Strahlung verfälschen. 238Pu entsteht nicht als Abfall im Kernreaktor sondern wird durch Neutronen-Bestrahlung des bei der Kernwaffenproduktion entstehenden Isotops 237Neptunium erzeugt.
Der Einsatz von Radionuklidbatterien und die Gefahr einer Kontamination bei einem missglückten Start hat immer wieder zu Umweltprotesten geführt. Das radioaktive 238Pu liegt als Plutoniumdioxid in keramischer hitzebeständiger Form vor und ist stark gekapselt, um einen Ritt durch die Atmosphäre im Fall eines Unfalls zu überstehen. Trotzdem sind die Sorgen von Umweltschützern bezüglich einer Verbreitung des hochgefährlichen Plutioniums bei einem Unfall berechtigt. Perseverance verwendet 4,8 kg Plutonium. Die Radionuklidbatterie erzeugt ca. 100W konstante elektrische Leistung, die nur langsam über die Jahre abnimmt. Sie speist damit 2 Lithium-Ionen-Batterien, die für energieaufwändige Experimente kurzzeitig höhere Leistungen liefern können. Erstes Foto vom gerade gelandeten Mars-Rover Perseverance vom 18.Februar 2021. Quelle: NASA Die am längsten im Weltraum verwendeten Radionuklidbatterien befinden sich übrigens auf den Pioneer- und Voyager-Raumsonden, die längst das Sonnensystem verlassen haben. Nach 43 Jahren ist allerdings die elektrische Leistung der Voyager-Sonden von ursprünglich 470W auf 249W abgefallen. Sie belegen eindrucksvoll die Leistungsfähigkeit dieser Energiequelle für Raumfahrtzeuge.   Geräte wie der Mars-Rover Perseverance werden mit nur allen erdenklichen Mitteln möglichst steril gemacht, um keine organischen oder gar lebende Materialien auf den Mars einzuschleppen. Trotzdem müssen wir uns eingestehen, dass wir auf dem Mond und dem Mars schon radioaktiven Müll hinterlassen haben, wie z. B. die Radionuklidbatterien des Apollo-Projekts oder der Viking-Sonden aus den siebziger Jahren. Hoffen wir, dass die wissenschaftlichen Ergebnisse den Einsatz des gefährlichen Plutoniums auf dem Mars rechtfertigen werden. Für den Hausgebrauch ist eine Radionuklidbatterie übrigens nicht zu empfehlen. Die Kosten für 1 kg 238Plutonium dürften so um die 10 Mio. US$ liegen. Viele Jahre verwendete man auf Halde liegendes Material aus der Ära der Kernwaffenproduktion aus Russland und den USA. Jetzt versucht man wieder vermehrt 238Plutonium zu produzieren, weil der Bedarf für Raumfahrtmissionen steigt. Im Moment dürfte die US-Produktion allerdings nur in der Größenordnung von 1 kg pro Jahr liegen. Dr. Matthias Knopp ist ehemaliger Leiter der Hauptabteilung Luft-, Raum-, Schifffahrt und ehemaliger Kurator für die Ausstellung Raumfahrt. Er hat die nachweislich erste E-Mail aus dem Deutschen Museum verschickt und 1995 das Museum mit einer eigenen Webseite ins Internet gebracht.

Das erste seiner Art

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Sieht so die Zukunft aus? Inmitten der Marslandschaft befindet sich eine kleine Siedlung – unter der Kuppel werden Pflanzen angebaut. Foto: Deutsches Museum Von Kristina Hoheneder Das Mars-Diorama ist das erste Diorama aus den Werkstätten des Deutschen Museums, das nicht für die Münchner Museumsinsel bestimmt ist – sondern für das Zukunftsmuseum.###MORE### Das Deutsche Museum ist für seine Dioramen berühmt. Eigens für das Zweigmuseum in Nürnberg entsteht derzeit in den Werkstätten des Münchner Haupthauses ein Diorama, das gleich in mehrerlei Hinsicht einzigartig ist. Von den 80 Dioramen in der Sammlung des Deutschen Museums ist das Mars-Diorama nicht nur das jüngste Meisterwerk, sondern auch das erste, das bald in einem Zweigmuseum außerhalb der Münchner Museumsinsel zu sehen ist. Etwas ganz Besonderes ist das Diorama in Nürnberg auch deshalb, weil es einen Blick in die mögliche Zukunft gewährt – so wie es der Name „Zukunftsmuseum“ verspricht. Anders als die bisherigen Dioramen, die meist historische Szenen zeigen, vermittelt es den Betrachtern eine Vision von der künftigen Besiedelung des Mars durch den Menschen. „Natürlich hatten wir beim Entwerfen dieses Dioramas ein wenig mehr Gestaltungsspielraum als sonst, weil es ausmalt, was irgendwann einmal sein könnte. Die dargestellte Szenerie ist aber keinesfalls reine Science-Fiction“, sagt Werkstattleiter und Modellbauer Franz Huber, der seit 40 Jahren im Deutschen Museum arbeitet und an vielen Dioramen mitgewirkt hat. Für eine möglichst detailgetreue Fertigung des Dioramas sorgen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus den Fachwerkstätten auf der Museumsinsel. Huber betont dabei einen großen Vorteil: „Wir haben das große Glück, dass hier verschiedene Fachbereiche im wahrsten Sinne des Wortes unter einem Dach zusammenarbeiten. Die kurzen Wege erleichtern den Entstehungsprozess enorm, der direkte Austausch bringt immer wieder kreative Lösungen hervor.“ Und genau diese braucht es beim Bau eines Dioramas jedes Mal aufs Neue. Die erste Frau auf dem Mars: Bildhauerin Elisabeth Straßer bringt den Gips in Felsenform. Zunächst werden Ideen skizziert, dann kommt die eigentliche Herausforderung: Alles soll so realistisch wie möglich wirken. Eine entscheidende Rolle spielt dabei ein gelungener Übergang zwischen der dreidimensionalen Darstellung im Vordergrund und dem zweidimensionalen, gemalten Hintergrund: „Wir müssen hier etwas tricksen, um beim Betrachter die perfekte Illusion einer eigenen kleinen Welt zu erzeugen“, sagt Bildhauerin Elisabeth Straßer, während sie mit einem Spatel das Marsgebirge aus Draht und Gips bearbeitet, das zusammen mit der gemalten Schlucht auf der kuppelförmigen Rückwand den Eindruck von räumlicher Tiefe schafft. „Weil wir uns natürlich in erster Linie an Fakten orientieren, haben wir viel Fachliteratur gelesen und uns Rat bei einem Planetengeologen geholt. Obwohl der Mars ‚roter Planet‘ genannt wird, bewegen sich seine Farben auf der Oberfläche im gelben bis bräunlichen Bereich – rot ist er nur von weitem betrachtet. Das haben wir bei der Farbgestaltung der Landschaft und Lichtatmosphäre berücksichtigt.“ Stück für Stück: Im Modellbau entstehen die Mars-Rover. Werkstattleiter Franz Huber mit einem Rover im Miniaturformat. Anders als bei der Gestaltung der Landschaft kommt bei den Fahrzeugen, die auf der Marsoberfläche herumfahren, modernste Technik zum Einsatz: Die „Mars-Rover“ stammen aus dem 3D-Drucker. „Diese Technik ist zweifellos faszinierend. Die Mars-Rover sind allerdings nicht am Stück im 3D-Drucker gefertigt worden. Sie würden sonst nicht realistisch genug wirken“, erklärt Franz Huber. Stattdessen wurden die Teile der Rover einzeln gedruckt und dann per Hand zusammengesetzt. Zudem sind die Rover im Vordergrund des Dioramas deutlich größer als diejenigen, die in der Hintergrundlandschaft platziert werden – ein Diorama ist immer ein geschicktes Spiel mit der Perspektive. Besonders deutlich wird das bei der Kuppel für die Pflanzen: Nur, wenn man sie aus dem Diorama herausnimmt, sieht man, dass sie in Wirklichkeit keineswegs rund ist – sondern perspektivisch verzerrt. Derzeit bekommt das Mars-Diorama noch den letzten Schliff – doch bald wird es aus den Werkstätten der Museumsinsel an seinen neuen Standort im Deutschen Museum Nürnberg umziehen. Wer sich auf eine Reise in künftige Welten mitnehmen lassen möchte, muss sich also nicht mehr lange gedulden. Als Teil der Ausstellung zum Thema „Raum & Zeit“ wird das Mars-Diorama neben einer Raumkapsel zu sehen sein, die bereits im Weltall war. Und wer weiß: Vielleicht holt ja die Zukunft irgendwann dieses Diorama ein – und man kann dann die heutige Vision der Marsbesiedlung an der künftigen Realität messen. Zahlen und Fakten: Name: Mars-Diorama Standort: Deutsches Museum Nürnberg, Ausstellung zum Themenfeld „Raum & Zeit“ Größe: - Höhe 2,8 m - Breite 2,4 m - Tiefe 1,7 m Entstehungsdauer: ca. 1 Jahr Beteiligte Fachwerkstätten: - Modellbau - Bildhauer - Ausstellungsmaler - Elektroniker (Beleuchtung) - Schlosserei und Schreinerei (Unterbau und Rahmen)

HABITAT: Luftbilder von unserem Lebensraum

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Tom Hegen: The Toxic Water Series Von Gerrit Faust
Von oben: Mit Aufnahmen aus Multicopter, Hubschrauber und Flugzeug wirft der Münchner Fotograf und Kommunikationsdesigner Tom Hegen den Blick auf die (Erd-)Oberfläche und fordert damit zu tiefgründigen Gedanken zu unserem Umgang mit der Umwelt heraus. Von 12. März bis 11. Juli 2021 sind rund 30 seiner großformatigen Luftbilder aus der Reihe HABITAT in der Flugwerft Schleißheim zu sehen. Die Sonderausstellung zeigt aus der Vogelperspektive, wie der Mensch seinen Lebensraum prägt.###MORE### Was uns ernährt, was uns antreibt, was uns verbindet und was uns wertvoll sein sollte: Tom Hegen hat die Luftbilder aus seiner Reihe „HABITAT“ in verschiedene Kapitel geordnet. Auf den ersten Blick sind da zunächst faszinierende Formen, strahlende Farben, gefällige Muster zu sehen. „Zucker fürs Auge“ nennt der Fotograf diese vordergründige Schönheit. „Ich arbeite gerne mit Ästhetisierung und Abstraktion“, sagt Hegen, „auch um die Betrachter zum Hinschauen zu verführen“. Denn wenn man dann etwas länger hinschaut und das Motiv – die Braunkohlegrube, die Straßenkreuzung oder die kahlen Bäume – erkennt, kommt fast automatisch das Nachdenken in Gang. Darüber, wie diese Landschaften entstanden sind. Darüber, welche Dimensionen die Eingriffe des Menschen auf die Umwelt haben. „Die Aufnahmen von Tom Hegen passen gut in die Serie von Ausstellungen mit Luftbildern, die wir hier bereits gezeigt haben“, sagt Gerhard Filchner, der Leiter der Flugwerft Schleißheim. „Dabei hat jeder Fotograf einen anderen Zugang: Da war der Blick des Geologen, der des Archäologen und jetzt steht der Mensch in der Umwelt im Mittelpunkt.“ Allen gemeinsam ist dabei die Perspektive von oben: „Die Aussicht ist ja einer der Gründe, warum man überhaupt fliegt“, sagt Filchner. Ein Blick von noch viel weiter oben war es auch, der Tom Hegen zu HABITAT angeregt hat: „In der Sonderausstellung ‚‘Willkommen im Anthropozän‘ waren 2014 im Deutschen Museum Satellitenaufnahmen von der Zerstörung des Regenwaldes zu sehen. Das hat mich fasziniert und schockiert zugleich.“ Seine eigenen Luftbilder hat Hegen mithilfe eines Multicopters, aus dem Hubschauber und kleineren Flugzeugen aufgenommen. „Damit ist man näher am Geschehen und kann detaillierte Ansichten einfangen.“ Dabei geht es ihm nicht so sehr um das einzelne Motiv, sondern vielmehr um einen Überblick darüber, wie der Mensch seinen Lebensraum prägt, gestaltet und organisiert. Der Wechsel in die Vogelperspektive macht dabei das Ausmaß noch deutlicher erkennbar. Nicht zuletzt würde sich Tom Hegen deshalb wünschen, dass seine Luftbilder die Betrachterinnen und Betrachter auch dazu anregen „Verantwortung für diese Eingriffe zu übernehmen“. Die Sonderausstellung „HABITAT – Vom Mensch geprägte Lebensräume“ ist vom 12. März bis 11. Juli 2021 in der Flugwerft Schleißheim zu sehen.   Weitere Informationen zur Sonderausstellung Gerrit Faust leitet die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Deutschen Museums. Nach seinem Journalismus-Studium hat er bei verschiedenen Tageszeitungen gearbeitet. Zuletzt war er Chef vom Dienst bei der Abendzeitung.   Sein Tipp für einen Besuch im Deutschen Museum: Vom höchsten zum tiefsten Punkt des Museums. Die Show im Planetarium ist nämlich himmlisch. Und dann - mit beliebig vielen Zwischenstationen - ab in die Tiefe. Denn die Atmosphäre im Bergwerk ist einfach zutiefst bewegend.

Ein Traumjob – seit 40 Jahren

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Franz Huber ist Leiter der Modellbauwerkstatt des Deutschen Museums. Von Gerrit Faust
Franz Huber arbeitet seit März 1981 in der Modellbauwerkstatt des Deutschen Museums, davon 32 Jahre als Werkstattleiter. Fad war ihm keinen Tag lang.   Der Generaldirektor des Deutschen Museums sagt, der einzige Job, den er noch lieber machen würde als den des Generaldirektors, sei der von Franz Huber. Franz Huber (62) ist Leiter der Modellbauwerkstatt des Deutschen Museums. Auf der Museumsinsel hat er seinen Traumjob gefunden – und er macht ihn jetzt schon seit 40 Jahren. Mit großer Begeisterung.###MORE### Die Werkstätten des Deutschen Museums sind berühmt. Allein schon wegen ihrer großen Bandbreite: Es gibt Schreiner, Elektroniker, Drucker, Maler, Buchbinder und Fotografen – und eben Werkstätten wie die der Bildhauerinnen und Modellbauer. Hier entstehen die einzigartigen Dioramen für das Museum, detailgetreue Brücken- und Flugzeugmodelle, Demonstrationen und vieles mehr. Die Modellbauwerkstatt gehört zum Beeindruckendsten, was das Museum außerhalb der Ausstellungen zu bieten hat. „Wenn mir das jemand prophezeit hätte vor 40 Jahren, dass ich hier so lange arbeiten würde, ich hätte ihm nicht geglaubt“, sagt Franz Huber lachend.   Die große Liebe nahm 1978 ihren Anfang. „Da sind wir vor meiner Gesellenprüfung mit der Berufsschulklasse ins Deutsche Museum gegangen. Unser Lehrer hat es damals geschafft, dass wir auch einen Blick in die Modellbauwerkstatt werfen dürfen. Und da dachte ich: Genau da willst du mal arbeiten.“ Kurze Zeit später stand Huber dann wildentschlossen mit seinem Gesellenbrief in der Hand vor dem Leiter der Werkstätten des Deutschen Museums, der aber bedauerte: In der Modellbauwerkstatt sei erst in sechs bis sieben Jahren wieder was frei. „Dann habe ich erst einmal bei BMW angefangen.“  Anderthalb Jahre später kam der ersehnte Anruf, ob die Bewerbung noch stehe. „Ich sagte natürlich ja – und habe mich gegen 80 Mitbewerber durchgesetzt. Ich habe zwar 1000 Mark netto weniger verdient als bei BMW, aber das war nicht so wichtig“, erzählt Huber. Huber war schon als Kind ein Tüftler. „Ich habe als Bub Flugzeuge zusammengebaut, und weil ich das Geld für Bausätze nicht hatte, habe ich die Automodelle eben selbst konstruiert. Oder ein funktionierendes Amphibienfahrzeug.“ Insofern ist mit dem Job auch ein Kindertraum wahrgeworden. Und es kam noch besser. Acht Jahre später, mit gerade mal 29 Jahren, wurde Franz Huber Leiter der Modellbauwerkstatt. Unter lauter Kollegen, die zwischen 50 und 60 waren. „Ich habe mich durchbeißen müssen – das war schon ein harter Kampf damals.“ Der Mann ist so quirlig, dass er anfangs von den Kollegen als „Gschaftlhuber“ verspottet wurde, wie er selbst erzählt. Das ist bei ihm aber im Wortsinn zu verstehen: Er ist einfach geschäftig. „Ich habe mich halt nicht bremsen lassen.“ Die Demonstration zur „Kraftwirkung der Sonne auf die Planeten“ in der Astronomie, in der eine Kugel sich in spiralförmigen Kreisen dreht, bis sie schließlich nach einer gefühlten Ewigkeit in einem Loch im Zentrum verschwindet, war seine erste Bewährungsprobe in der Modellbauerwerkstatt. „Das habe ich damals quasi von Hand gedrechselt, obwohl die Kollegen alle gedacht haben, der schafft das nie.“ Danach war das Eis gebrochen. Nach seinem absoluten Highlight gefragt, muss Huber nicht lange überlegen. Die menschliche Körperzelle in der Pharmazie, ein begehbares Modell im Maßstab 350.000 zu 1. „Das haben wir innerhalb eines Jahres realisiert, von der Idee bis zur Vollendung.“ Zeitlich war das ganz schön knapp. „Bei der Eröffnung haben wir uns nach der Fertigstellung hinten in den Verwaltungstrakt rausgeschlichen, während vorne schon die ersten Besucher reinkamen“, erzählt Huber. Konstruiert ist die Zelle wie ein Schiffsrumpf, und in den Messehallen auf der Theresienhöhe, wo später das Verkehrszentrum des Deutschen Museums entstand, hatten die Kolleginnen und Kollegen den Platz, den sie brauchten, um die riesige Form zu bauen. Huber: „Unglaublich anstrengend war das, den ganzen Tag im Vollschutzanzug mit Atemmaske, das Harz, alles klebt - aber es war ein wunderbares Musterbeispiel, wie die Werkstätten das zusammen hinkriegen.“ Besonders gefreut hat sich Huber aber über die Resonanz: „Die Gesichter der Besucher am ersten Tag waren mehr wert als jede Gehaltserhöhung. Das Schöne an dem Job ist nämlich: Man bekommt diese Reaktionen mit. Wenn du als Handwerker einen Tisch baust, wird der irgendwann an den Kunden ausgeliefert, und du hörst nie wieder etwas davon. Aber hier kannst du dir jeden Tag anschauen, was du mit deiner Arbeit bewirkst.“ Und man kann 20 Jahre später mit Gästen ins Deutsche Museum kommen und zeigen, was man hinterlassen hat. Ein anderes großes Beispiel seiner Arbeit wird bald wieder in den Ausstellungen des Deutschen Museums zu sehen sein, genauer gesagt in der Abteilung Brückenbau: Das riesige Baustellenmodell einer Schrägseilbrücke aus der Normandie – Maßstab 1:40. „Da war ich so stolz drauf, dass ich selbst zum damaligen Generaldirektor gegangen bin, um durchzusetzen, dass es auch einen guten Platz in der Ausstellung bekommt.“ Übersehen kann man es eh kaum: Das Modell ist fast sieben Meter hoch. Natürlich bringt es die Tätigkeit als Werkstattleiter mit sich, dass man mehr organisiert, weniger selbst baut. „Ich habe mir dann immer wieder ein paar Details vorgenommen, wie zum Beispiel den Tank beim Modell des Wright-Flyers. Ich musste mir von Zeit zu Zeit beweisen, dass ich’s noch kann.“ Auf der anderen Seite bringt die Arbeit im Team für ihn aber einen gigantischen Vorteil mit sich: „So einen kreativen Spielraum wie mit so vielen Experten hast du als Einzelner nie.“ Die heutigen Möglichkeiten beim Modellbau tun ein Übriges: „CAD-Zeichnen, CNC-Fräsen und 3-D-Druck - ich habe für jeden Bereich jemanden in der Werkstatt, der das richtig gut kann.“ Fad ist dem 62-Jährigen in der ganzen Zeit nie gewesen – und auch der Modellbau wird ihm nicht leid. Im Gegenteil: „Ich baue schon noch Modelle zu Hause. Ich habe da eine richtig tolle Werkstatt, die nach Süden rausgeht.“ Dem Deutschen Museum wird er noch eine Weile erhalten bleiben: „Hier ist schließlich mein Traum in Erfüllung gegangen. Und noch mehr. Ich wollte ja eigentlich nur in der Modellbauwerkstatt arbeiten. Und dann wurde ich sogar Leiter einer solchen Werkstatt mit solchen kreativen Möglichkeiten. Was Besseres kann dir nicht passieren.“ In zwei Jahren könnte Huber in Pension gehen – dann hat er 45 Jahre gearbeitet. Aber Franz Huber sagt: „Es heißt zwar, man soll gehen, wenn’s am Schönsten ist. Andererseits: Es ist halt immer noch am Schönsten.“ Gerrit Faust leitet die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Deutschen Museums. Nach seinem Journalismus-Studium hat er bei verschiedenen Tageszeitungen gearbeitet. Zuletzt war er Chef vom Dienst bei der Abendzeitung.   Sein Tipp für einen Besuch im Deutschen Museum: Vom höchsten zum tiefsten Punkt des Museums. Die Show im Planetarium ist nämlich himmlisch. Und dann - mit beliebig vielen Zwischenstationen - ab in die Tiefe. Denn die Atmosphäre im Bergwerk ist einfach zutiefst bewegend.

Juri Gagarin: 60 Jahre „Auf geht’s

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Einen fast sakralen Charakter hat die Gagarin-Statue im Museum der Kosmonautik in Moskau. ©flickr/Terrazzo Von Dr. Robert Kluge Zwei historische Errungenschaften werden dauerhaft von der 1991 untergegangenen Sowjetunion bleiben: der siegreiche Überlebenskampf im Krieg 1941-1945 und der erste Mensch, der mit seinem riskanten Flug am 12. April 1961 das Weltall erreichte und damit der Welt zeigte, zu welch hohem technologischen Niveau das sozialistische System fähig ist. Nach dem politischen Beben des „Sputnikschocks“ 1957 war der erste Kosmonaut Juri Gagarin zudem das äußerst menschliche Antlitz eines als feindlich empfundenen Systems und irritierte damit die westliche Welt.###MORE### Pojechali - „auf geht’s“, rief Juri Gagarin in sein Helmmikrofon, als sich die Wostok-Rakete vor 60 Jahren nur wenige Tage nach Ostern am 12. April 1961 von der Startplattform löste. Dieser banale Ausruf steht am Beginn der bemannten Raumfahrt und könnte nicht besser die Aufbruchstimmung jener Tage umschreiben – in der Sowjetunion und den USA, in zwei verfeindeten politischen Systemen, die auch mit den Mitteln moderner Technik um die Anerkennung in der Welt buhlten. Major Gagarin auf einer Pressekonferenz, aufgenommen am 3.6.1961 in Finnland.
Juri Gagarin 1962 auf den Weltfestspielen der Jugend und Studenten in Helsinki.
1000-Rubel-Goldmünze aus Anlass des 50. Jahrestags des ersten bemannten Weltraumfluges.
Der erste ausgelieferte Suchoj-Superjet war auf den Namen des ersten Kosmonauten getauft. Am 9. März 1994 hätte der „Kolumbus des 20. Jahrhunderts“ 60. Geburtstag gefeiert, wäre er nicht im März 1968, gerade 34 geworden, bei einem profanen Übungsflug mit einer MiG-15 ums Leben gekommen. Ich befand mich auf einer Recherchereise in Moskau und hatte das Glück, mit der offiziellen Einladungskarte Siegmund Jähns, des ersten Deutschen im All, an dem Festakt im „Sternenstädtchen“ bei Moskau anlässlich dieses Ehrentages teilnehmen zu dürfen. Jähn selbst musste einer anderen Verpflichtung nachkommen, und so konnte ich aus eigener Anschauung erleben, welche Bedeutung dem sozialistischen Helden auch gut zwei Jahre nach Untergang der Sowjetunion noch beigemessen wurde. Oder besser: Gerade in dieser politisch und wirtschaftlich unsicheren Zeit spielte der Stolz auf die Errungenschaft, das Kind zweier Kolchosarbeiter als ersten Menschen ins Weltall geschickt zu haben, eine wichtige Rolle zur Identitätsstiftung. Bis heute wird immer wieder auf Gagarin als Vorbild und Stichwortgeber verwiesen.   Der Start des ersten Satelliten am 4. Oktober 1957 schockierte den Westen, denn er zeigte sich auf einen Schlag militärisch verwundbar, während offensichtlich die Sowjetunion technologisch überlegen zu sein schien. Gemeinsam mit dem Konstrukteur Sergej Koroljow hatte Partei- und Staatschef Nikita Chruschtschow nun ein Vergnügen daran, ein wahres Feuerwerk an Raumfahrterfolgen zu zünden. Bereits der zweite Sputnik brachte mit der Hündin Laika ein Lebewesen ins All, weitere Raumschiffe und ihre tierischen Besatzungen machten deutlich, in welche Richtung die Reise ging. Dieses als rückwärtsgewandt, dunkel und mysteriös empfundene Land auf der anderen Seite der Welt hatte die westliche Führungsmacht offensichtlich auf einem extrem öffentlichkeitswirksamen und prestigeträchtigen Terrain überholt und deklassiert.   Zwangsläufig machten sich die beiden Konkurrenten nun an die Vorbereitungen für einen bemannten Flug. Neben den technischen Herausforderungen sollte der oder die Auserwählte ein bestimmtes Menschenbild transportieren. Während die mediale Inszenierung der „glorious Mercury-Seven“ um John Glenn und Alan Shepard den „gewöhnlichen Supermann“ in den Mittelpunkt stellte, mussten die zuletzt sechs im Schnitt zehn Jahre jüngeren Kosmonauten-Anwärter um Juri Gagarin andere Vorgaben erfüllen: Gefragt waren unverbrauchte junge Männer aus dem Volk mit möglichst proletarischem Stammbaum, die als Vorbild für die eigene Generation dienen konnten, die der sowjetischen Ideologie in der Tauwetterperiode zu entgleiten drohte. Er musste dem Moralkodex der Erbauer des Sozialismus zumindest nach außen hin folgen und stellte damit eine Weiterentwicklung der als „Stalin‘sche Falken“ bekannten Fliegerhelden der 1930er dar. Um es an dieser Stelle kurz zu machen: Auch einem Juri Gagarin war nichts Menschliches fremd, und sein vergeblicher Kampf um einen zweiten Weltraumflug dürfte zu seinem frühen Ende beigetragen haben. Neben seinem zutiefst menschlichen Antlitz bleibt die Kühnheit, seinem Mentor Koroljow zu vertrauen (dessen Rakete als Sojus noch heute unterwegs ist), und sich als Kolumbus des 20. Jahrhunderts auf das extrem ungewisse Abenteuer des ersten Fluges ins All einzulassen. Die erste Mondlandung ist ohne Gagarin undenkbar, war er doch der Anlass für den pathetischen Aufruf Präsident Kennedys eben dorthin. © H. Haan Robert Kluge ist Kurator für Moderne Luftfahrt am Deutschen Museum und seit 40 Jahren passionierter Pilot. Nach dem Studium der Slawistik, Politikwissenschaft und Volkswirtschaftslehre, seiner Dissertation „Der sowjetische Traum vom Fliegen“ (1997) und langen Jahren als Luftfahrtjournalist und einer Berufspilotenausbildung fand er 2015 zum Traumberuf.   Sein Tipp – ein Fachgespräch mit den engagierten Kollegen vom Ausstellungsdienst in Oberschleißheim oder demnächst wieder in der Neuen Luft-und Raumfahrthalle auf der Museumsinsel.

Mythen der Biotechnologie: Kennen Sie sich aus?

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Erythropoetin (links) und Acetylsalicylsäure (rechts), Molekülmodelle (50 Mio.:1). Während Acetylsalicylsäure chemisch-synthetisch hergestellt wird, lässt sich der komplexe Wachstumsfaktor Erythropoetin ausschließlich biotechnologisch in Zellen herstellen.
© Deutsches Museum Von Dr. Margherita Kemper und Dr. Christine Kolczewski Im zweiten Teil unserer Beitragsreihe zu Nano- und Biotechnologie möchten wir mit einigen Irrtümern bezüglich der Biotechnologie aufräumen. Denn diese ist tatsächlich schon seit Jahrhunderten Teil unseres Alltags und gewinnt in der Medizin immer stärker an Bedeutung. Viele innovative Therapieansätze wären ohne biotechnologische Arzneimittel undenkbar. Trotzdem wissen viele Deutsche nicht genau, was sich hinter Biotechnologie verbirgt. Das möchten wir ändern und aufklären: Wir entschlüsseln die fünf gängigsten Mythen der Biotechnologie. Hätten Sie’s gewusst?###MORE### Auch dieser Beitrag ist entstanden in Zusammenarbeit mit der Amgen GmbH. Das Biotechnologieunternehmen mit Sitz in München unterstützt als Gründungspartner das Zentrum Neue Technologien und die Ausstellung Nano- und Biotechnologie. Mythos 1: Biotechnologie ist eine neue Wissenschaft Unser Erbmolekül, die DNA. Unser Erbmolekül, die DNA. Ihre Entschlüsselung war für die Biotechnologie ein wesentlicher Meilenstein. © Deutsches Museum Die moderne Biotechnologie beruht auf dem Wissen über die Struktur und Funktion der genetischen Information, der DNA, für deren Aufklärung die beiden Wissenschaftler James Watson und Francis Crick 1962 den Nobelpreis für Medizin erhielten. Doch die Methoden der Biotechnologie wurden bereits vor Tausenden von Jahren genutzt. Die älteste bekannte Anwendung ist die Herstellung von Brot und alkoholischen Getränken, wie Bier und Wein. Bei der zugrundeliegenden alkoholischen Gärung verarbeitet die zu den Pilzen gehörende Hefe Zucker zu Ethanol („Trinkalkohol“) und Kohlenstoffdioxid. Seit Jahrtausenden werden außerdem Milchsäurebakterien für die Herstellung von Sauerteig oder Sauermilchprodukten, wie Käse und Joghurt, genutzt. Übrigens sind auch biotechnologisch hergestellte Arzneimittel, sogenannte Biopharmazeutika, älter als man vermuten mag. Den Anfang machte Humaninsulin – es wurde erstmals 1982 in gentechnisch veränderten Bakterien hergestellt 1 . Mythos 2: Bakterien bringen nur Krankheiten Aktuell geht man davon aus, dass es zwischen zehn Millionen und einer Milliarde verschiedener Bakterienarten gibt. 2 Nur ein Bruchteil von ihnen wurde bereits entdeckt und untersucht. Auch können nur sehr wenige der heute bekannten Bakterien Erkrankungen auslösen. Trotzdem werden Bakterien oft mit Krankheitserregern gleichgesetzt. Tatsächlich ist es aber so, dass unser Körper bestimmte Bakterien braucht, um zu überleben, beispielsweise im Darm oder auf unserer Haut. Heutzutage kann man Bakterien auch nutzen, um mittels biotechnologischer Methoden Bioethanol, Biokunststoff oder Enzyme für die Lebensmittel- und Textilindustrie herzustellen. Außerdem sind sie für die Herstellung von innovativen Arzneimitteln unabdingbar geworden. Man kann also festhalten, dass Bakterien nicht nur schaden, sondern auch nützen. E.coli wird für gentechnische Forschung und Produktion genutzt. Hier ein Modell aus dem Deutschen Museum im Maßstab 1Mio:1.
© Deutsches Museum
Milchsäurebakterien können Milchzucker in Milchsäure umwandeln. Diese kann dann chemisch zu Polymilchsäure umgewandelt werden. Der Kunststoff eignet sich beispielsweise für resorbierbare Platten und Schrauben.
© Deutsches Museum Mythos 3: Biopharmazeutika sind pflanzliche Arzneimittel Elektroporationsapparatur Die in der Elektroporationsapparatur ausgelösten elektrischen Impulse ermöglichen die Aufnahme von Fremd-DNA in eine Zelle. © Deutsches Museum Die Bestandteile pflanzlicher Arzneimittel sind, wie der Name bereits verrät, ausschließlich pflanzlicher Herkunft. Es sind Substanzen, die von bestimmten Pflanzen natürlicherweise gebildet werden und eine gesundheitsfördernde Wirkung für den Menschen haben. Die meisten dieser sogenannten Phytopharmaka werden gegen Atemwegs- und Erkältungskrankheiten, Magen-Darm-Beschwerden oder zur Beruhigung eingesetzt. Biopharmazeutika hingegen sind nicht pflanzlichen Ursprungs. Sie sind entweder Kopien von Substanzen, die im menschlichen Körper vorkommen, oder wurden komplett neu entwickelt. Biopharmazeutika lassen sich in zahlreichen Zellen und Organismen produzieren, besonders gut eignen sich hierfür Bakterien. Dafür muss vorab lediglich die genetische Information, sozusagen der Bauplan für den Wirkstoff, in den „Produzenten“ eingebracht werden. Dies ist möglich, da fast alle Lebewesen auf der Erde den gleichen genetischen Code, die DNA, haben. Auf diesem Weg können sogar Pflanzen Biopharmazeutika produzieren. Phytopharmaka werden also von Pflanzen von Natur aus gebildet, Biopharmazeutika erst nachdem die genetische Information für den gewünschten Stoff in die Pflanze eingebracht wurde. Mythos 4: Biotechnologinnen und Biotechnologen stellen künstliche Gelenke her Gelenkersatz Bald wieder bei uns ausgestellt: Gelenkersatz und viele weitere spannende Aspekte der Medizintechnik. © Deutsches Museum Die Biotechnologie beschäftigt sich mit der technischen Nutzung von Organismen, einzelner Zellen oder Proteinen. Ihre Verfahren und Methoden kommen in zahlreichen, mit unterschiedlichen Farben gekennzeichneten, Bereichen zum Einsatz. So findet die „grüne“ Biotechnologie Anwendung in der Krankheits- oder Schädlingsbekämpfung bei Pflanzen. Die Farbe Weiß steht für den Einsatz der Biotechnologie bei der Optimierung industrieller Prozesse. Bei der „blauen“ Biotechnologie steht die Untersuchung von Meereslebewesen im Fokus und die „graue“ Biotechnologie beschäftigt sich mit der Abfallentsorgung. Schließlich versteht man unter der „roten“ Biotechnologie ihre Anwendung bei der Entwicklung innovativer Arzneimittel, Gentherapien und diagnostischer Verfahren. Diese medizinische Biotechnologie basiert auf den biochemischen Reaktionen im Körper und grenzt sich dadurch klar von der Medizintechnik ab. Letztere beschreibt die Herstellung von Medizinprodukten, wie Implantaten, Prothesen, ärztlicher Instrumente, Röntgen- oder Ultraschallgeräte, deren Wirkung hauptsächlich durch physikalische Prozesse zu erklären ist. Auch die Forschung an und die Produktion von künstlichen Gelenken und Organen fällt in das Aufgabengebiet der Medizintechnikerinnen und -techniker. Eine Auswahl von Gelenkersatz können Sie bald in der neuen Dauerausstellung GESUNDHEIT sehen. Mythos 5: Gentechnik ist schädlich „Haut aus der Tube" Patienteneigene Hautzellen dienen als Ausgangsmaterial für „Haut aus der Tube". © Deutsches Museum Die Gentechnik nutzt biotechnologische Methoden, um gezielt das Erbgut von Lebewesen zu verändern. Diese Tatsache weckt bei jedem vierten Deutschen erst einmal negative Assoziationen . Grund dafür könnte die oft nachteilige Berichterstattung über gentechnisch veränderte Pflanzen, z.B. Mais oder Soja, sein. Seit 1996 sind transgene Nutzpflanzen zugelassen und machen heute zwölf Prozent der weltweit landwirtschaftlich genutzten Fläche aus 3 . In Deutschland jedoch ist der Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen verboten 4 . Trotzdem ist der Import erlaubt und aufgrund fehlender Kennzeichnungspflicht 5 erfährt die Konsumentin oder der Konsument oft nicht, ob die Kuh, die ihre Milch gab, mit Gen-Soja aus Brasilien gefüttert wurde. Dies führt oft zu Verunsicherung. In der Medizin ist Gentechnik unverzichtbar und heute nicht mehr weg zu denken. Biopharmazeutische Arzneimittel etwa werden mit Hilfe von Gentechnik hergestellt. Durch sie können schwere Erkrankungen, wie Diabetes, Krebs oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen, therapiert werden. Die Regenerationsmedizin nutzt die Gentechnik, um zerstörtes Gewebe zu ersetzen. Gentechnische Verfahren machen es zudem möglich, Erbkrankheiten schnell und zuverlässig zu diagnostizieren.  Auch bei der Entwicklung von Impfstoffen spielt Gentechnik eine wichtige Rolle. Sie ermöglicht hierbei eine gezielte Veränderung von Viren oder Bakterien. Damit können Forscherinnen und Forscher Impfstoffe für Erkrankungen entwickeln, für die es noch keine Immunisierungsmöglichkeiten gibt. Referenzen 1. Williams, Daniel C., et al. "Cytoplasmic inclusion bodies in Escherichia coli producing biosynthetic human insulin proteins." Science 215.4533 (1982): 687-689. 2. Schloss, Patrick D., and Jo Handelsman. "Status of the microbial census." Microbiol. Mol. Biol. Rev. 68.4 (2004): 686-691. 3. Clive James: ISAAA Brief 51-2015: Executive Summary. ISAAA, 2015, abgerufen am 11. Mai 2020 (englisch). 4. https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/lebensmittel-in-deutschland-grundsaetzlich-gentechnikfrei-348862, abgerufen am 13. August 2020 5. § 17b Absatz 3 Satz 1 GenTG Fünf spannende Fakten über unsere DNA Unser Erbgut, die DNA, ist der Bauplan des Lebens. Sie steckt in (fast) jeder unserer Zellen, egal ob Herz-, Muskel- oder Gehirnzelle. Unser Erbgut entscheidet zum Beispiel darüber, wie wir aussehen oder welche Blutgruppe wir haben. Das ist aber noch nicht alles – wir erläutern im Folgenden fünf spannende Fakten zur Funktion und Struktur der DNA. Wussten Sie, dass Ihr genetischer Code doch nicht all das bestimmt, was Sie ausmacht?   zum Blogbeitrag Nach ihrem Volontariat am Deutschen Museum hat Margherita Kemper als Kuratorin den Bereich Life Sciences übernommen. Daher ist die promovierte Biologin auch für das DNA-Besucherlabor im Zentrum Neue Technologien verantwortlich. Dort können Besucher selbst an Laborgeräten unter Anleitung Analysen durchführen. (Ein heißer Tipp für alle, die meinen, sie würden im Deutschen Museum eh schon alles kennen!). Ansonsten ist der Blog für sie interessant, weil sie derzeit an verschiedenen Projekten wie der Erstellung von Sonder- oder Dauerausstellungen mitwirkt und es während deren Planungs- und Laufzeiten immer mal wieder Spannendes zu neuen Exponaten oder zu Mitmach-Aktionen zu berichten gibt. Christine Kolczewski leitet das Zentrum Neue Technologien (ZNT) und ist Kuratorin für Nano- und Biowissenschaften. Neben der Betreuung und Aktualisierung der Sammlung und Ausstellung zur Nano- und Biotechnologie gehört auch die Entwicklung und Planung von Veranstaltungen zum Thema Neue Technologien zu ihren Aufgaben. Außerdem leitet sie die Abteilung Ausstellungsprojekte Sonderausstellungen und ist Ansprechpartnerin für alle großen und kleinen Sonderausstellungen auf der Insel.

Ihr Tipp für einen Museumsbesuch:
Die Abteilung Technisches Spielzeug – weil man zum Spielen und Entdecken nie zu alt ist.

Eisenluppe aus Akpafu und ein Hammer aus gutem deutschen Stahl

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Koloniales Sammlungsgut im Deutschen Museum Teil 4 Eisenluppe – Siegerland 5. Jahrhundert v. Chr. oder Deutsch-Togo 1914? (Inv.-Nr. 41570, Foto: Deutsches Museum, Konrad Rainer) Von Bernhard Wörrle Der Schmelzpunkt von Eisen liegt bei 1538 °C. Wird Eisen bei niedrigeren Temperaturen aus Eisenerz gewonnen, entsteht statt flüssigem Eisen ein schwammartiger, mit Schlacke vermischter Eisenklumpen, die sogenannte Luppe. Ein Diorama in der Ausstellung Metalle zeigt diese Verhüttungsmethode bei den Kelten im Siegerland im 5. Jahrhundert v. Chr. Als Anschauungsmaterial ist dazu eine echte Luppe ausgestellt. Diese ist allerdings weder prähistorisch, noch stammt sie aus dem Siegerland. Tatsächlich kommt der Eisenbrocken aus Afrika: Er wurde 1914 im Auftrag des Deutschen Museums im Hinterland von Togo von der deutschen Kolonialverwaltung beschafft.###MORE### Diorama: Eisengewinnung mit dem Siegerländer Rennofen, 5. Jahrhundert v. Chr. (Inv.-Nr. 71780, Fotos: Deutsches Museum) Togo war von 1884 bis zum Ersten Weltkrieg Teil der deutschen Kolonien in Afrika. In der heute zu Ghana gehörenden Gegend von Akpafu , aus der die Luppe stammt, beutete die einheimische Bevölkerung seit vielen Jahrhunderten lokale Brauneisensteinvorkommen aus. Das unter Tage abgebaute Erz wurde in aus Termitenlehm erbauten Schachtöfen zu Eisenluppe reduziert. Ortsansässige Schmiede verarbeiteten das Zwischenprodukt weiter. In der Kolonialzeit wurde die traditionelle Eisenverhüttung rasch durch billigeres Eisen aus europäischer Produktion verdrängt. Bereits um 1900 war in Akpafu nur noch ein einziger Ofen in Betrieb. Akpafu, Deutsch-Togo, um 1900. (Quelle: Staatsarchiv Bremen: Fotos der Norddeutschen Missionsgesellschaft ) Schachteingang 1927/28. (Quelle: Staatsarchiv Bremen: Fotos der Norddeutschen Missionsgesellschaft ) Der letzte Rennofen von Akpafu im Jahr 1910 fotografiert vom Basler Missionsarzt Rudolf Fisch. In diesem Ofen muss die Luppe des Deutschen Museums produziert worden sein. (Quelle: Staatsarchiv Bremen: Fotos der Norddeutschen Missionsgesellschaft ) Zusammen mit der Luppe bekam das Deutsche Museum 1914 auch Erz- und Holzkohlenproben, sowie eine Schmiedezange und einen Schmiedehammer aus Akpafueisen. Im Jahr zuvor hatte die deutsche Kolonialverwaltung bereits ein Schmiedegebläse aus Akpafu mit der Woermann-Linie nach München liefern lassen. Die Initiative dazu ging vom Deutschen Museum aus: Da man in den im Aufbau begriffenen Ausstellungen auch "Techniken fremder Völker" zeigen wollte, hatte Oskar von Miller Ende 1911 eine "Wunschliste" an alle deutschen Gouvernements in Afrika verschickt. Beschafft werden sollten u. a. "typische Geräte zur Eisengewinnung" und "charakteristische" Schmiedewerkzeuge. Der Hammer aus Akpafu ist irgendwann abhandengekommen. Das Gebläse und die Zange befinden sich bis heute in der Sammlung. Die Wunschliste des Deutschen Museums an die deutsche Kolonialverwaltung (Auszug. Quelle: Archives nationales du Togo / Microfiche: Bundesarchiv Sign. R 150/ 31). Schmiedewerkzeuge aus Akpafu. Wieso war das Deutsche Museum damals an solchen Dingen interessiert? Wahrscheinlich spielten mehrere Gründe eine Rolle: Zum einen wurden die Ausstellungen zur Darstellung des technischen Fortschritts damals häufig als Entwicklungsreihen konzipiert. Die Anfänge wurden dabei gerne mit Exponaten fremder, vermeintlich "primitiver" Völker illustriert, die in der eurozentrischen Logik des Evolutionismus als stehengeblieben auf einer hier längst überwundenen Entwicklungsstufe galten. In der Gleichsetzung der Luppe aus Akpafu mit der prähistorischen Eisenverhüttung im Siegerland lebt diese Denkweise, die auch im (deutschen) Kolonialismus eine zentrale Rolle spielte, in der Ausstellung Metalle bis heute fort. Ein anderer Grund für das Interesse an afrikanischer Eisentechnik war sicherlich, dass die Frage, wo die Eisenverhüttung ursprünglich erfunden worden ist, um 1910 in der Wissenschaft noch nicht entschieden war: Im Vorderen Orient – so der heutige Stand der Forschung – oder in (West-)Afrika ? Technik fremder Völker als Blick in die eigene Vergangenheit? Rennofenmodelle aus Kamerun in der Abteilung "Eisengewinnung aus Erzen" vor dem Zweiten Weltkrieg (Inv.-Nr. 58786, Foto: Deutsches Museum). Wie die deutsche Kolonialverwaltung die Gegenstände in Togo erworben hat, ist relativ genau bekannt: Aus dem Schriftverkehr im Archiv des Deutschen Museums geht hervor, dass die Luppe damals für 3 Mark gekauft worden ist. Für den Transport der Sachen von Akpafu bis zum Kaiserlichen Bezirksamt Misahöhe – ein dreitägiger Fußmarsch durch überwiegend gebirgiges Gelände – bekamen die Träger jeweils 2,10 M. Für den Schmiedehammer wurde dem Schmied wunschgemäß ein "Ersatzhammer ähnlicher Form aus gutem deutschen Stahl" versprochen. In einem Brief vom 6. März 1914 bestätigte das Deutsche Museum, einen solchen Hammer zu beschaffen und nach Togo zu verschicken. Man kann nur hoffen, dass der Schmied diesen noch rechtzeitig bekommen hat: Im Juli brach der Erste Weltkrieg aus; wenige Wochen später wurde Togo von den Deutschen an die Briten übergeben. Wegverhältnisse zwischen Akpafu und Misahöhe und das Kaiserliche Bezirksamt Misahöhe im Jahr 1908. Fotos: Robert Lohmeyer, Quelle: Kurd Schwabe 1910: Die deutschen Kolonien. Begleitschreiben der deutschen Kolonialverwaltung zu den nach München geschickten Gegenständen aus Akpafu (Deutsches Museum Archiv VA 0184/4). Unproblematisch ist die Provenienz der Gegenstände von Akpafu trotzdem nicht: Auch, wenn es in Togo keine großen Kolonialkriege wie in Deutsch-Südwest- und Deutsch-Ostafrika gegeben hat, war die deutsche Kolonialherrschaft auch hier eine Gewaltherrschaft. Hans Gruner, der Bezirksamtmann von Misahöhe, der sich um die Beschaffung der Objekte für das Deutsche Museum gekümmert hat, war als großer Verfechter der Zwangsarbeit bekannt und schon damals für sein willkürliches und eigenmächtiges Regiment berüchtigt. Ob man unter solchen Bedingungen von einem Geschäft auf Augenhöhe sprechen kann, ist schwer zu sagen. Geplante Kontextualisierung der Luppe in der Ausstellung Metalle. Ähnliche Aufsteller wird es auch in der Schifffahrt und weiteren Ausstellungen geben (Gestaltung: André Judä). Klar ist jedenfalls, dass die Luppe aus Akpafu nicht länger als Teil der prähistorischen Eisengewinnung im Siegerland gezeigt werden kann. Sie wird erst einmal weiter in der Ausstellung zu sehen sein, dort aber einen eigenen Text bekommen, der ihre tatsächliche Herkunft zum Thema macht. Das ist man den Gegenständen, vor allem aber den Menschen, die hinter ihnen und ihrer Geschichte stehen, auf alle Fälle schuldig. Weitere Beiträge zum Thema Koloniales Sammlungsgut
  • Ein Diorama und sein kolonialer Hintergrund
  • Die dunkle Seite der Technik: Koloniale Materialien
  • Ein Kanumodell aus Kamerun
Quellen und Literatur zum Weiterlesen: Zur deutschen Kolonialherrschaft in Togo:
  • Habermas, Rebekka 2016: Skandal in Togo. Ein Kapitel deutscher Kolonialherrschaft. Frankfurt a. M.: S. Fischer.
  • Zurstrassen, Bettina 2008: Ein Stück deutscher Erde schaffen. Koloniale Beamte in Togo 1884-1914. Frankfurt a. M.: Campus. (Als Dissertation auch online ).
Zur traditionellen Eisengewinnung in Akpafu:
  • Hupfeld, Fr. 1899: Die Eisenindustrie in Togo . In: Mitteilungen von Forschungsreisenden und Gelehrten aus den Deutschen Schutsgebieten, Bd. 12: 175-194.
  • Rattray, R. S. 1916: The iron workers of Akpafu . In: The Journal of the Royal Anthropological Institute of Great Britain and Ireland 46: 431-435.
  • Pole, Len Michael 2010: The Hammers of Mawu : Iron working Traditions in the Togo Hills, Ghana. In: The African Archaeological Review 27 (1): 43-78.
Bernhard Wörrle ist promovierter Ethnologe und leitet seit 2013 das digitale Sammlungsmanagementsystem des Deutschen Museums. Sein aktueller Forschungsschwerpunkt ist koloniales Sammlungsgut.
  Sein Tipp für einen Besuch im Deutschen Museum: Unbedingt nochmal ins Bergwerk gehen, bevor Ende des Jahres der zweite Sanierungsabschnitt des Hauses beginnt!

Wissenschaft kann witzig!

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Ungereimheiten & Tollitäten – Willkommen in Schilda Von Wolfgang Chr. Goede Herausgeber Trio „Kann Wissenschaft witzig? Komik und Kabarett in der Wissenschaftskommunikation.“ So heißt ein derzeit vom Lehrstuhl für Wissenschaftskommunikation der TU München veranstaltetes Seminar, das normalerweise im Seminarraum des Deutschen Museums (DM)  stattfinden würde - derzeit aber online stattfindet wg. Corona. Fokus ist das gleichnamige, soeben im Springer Wissenschaftsverlag erschienene Buch. 20 prominente Beiträgerïnnen aus Theorie und Praxis errichten darin dem Humor in der Wissenschaft eine Bühne.###MORE### Zum Seminarauftakt erschien Vince Ebert, Physiker und renommierter Wissenschaftskabarettist. „Lachen reißt Mauern ein“ heißt sein Buchkapitel. Eine Kostprobe lieferte er via Bildschirm-Show. Vince Ebert Wolfgang Goede
„Wenn die Glühbirne nicht erfunden worden wäre, müssten wir bei Kerzenlicht fernsehen“
(und zoomen!), witzelte er, und: „Ohm war der Begründer des deutschen Widerstands.“ Professor Dr. Wolfgang M. Heckl, DM Generaldirektor und Mitherausgeber des Buches, zitierte ergänzend Museumsgründer Oscar von Miller: „Im Museum darf jeder machen, was ich will“ – eine für 1900 revolutionäre Hands-on Erlebnispädagogik zu schaffen. Humor versetzte Mauern, damals schon.
 
„Witze ändern bei Zuhörenden die Perspektive“, erläuterte Ebert. Sie bringen das logisch-linear trainierte Großhirn ins Stolpern (a+b≠c). Sein Rettungsschirm ist Lachen, eine körperinterne „Explosion“, an der Hunderte Muskeln und wichtige Organe beteiligt sind (mitunter auch die Blase: Mitautor Suda). Lachen entstresst, setzt Hormon-Kaskaden frei, ähnlich wie der Orgasmus.
 
Ebert unterstrich, dass Wissenschaft und Bildung mit Humor ein sich ergänzendes Tandem bildeten, lange überfällig. Hirnforscher hätten bewiesen, dass ein vergnügtes Hirn leichter lerne (ebenso wie Späße von Klinikclowns die Heil- und Immunkräfte von Kranken stärken: Mitautor von Hirschhausen).
 
Ebert, der bereits im Herbst 2020 mit „Make Science Great Again“ im Museumshof gastiert hatte, rief auf zur Bildungswende. „Nicht das Was, also Fakten, sondern das Wie-wir-Lernen“, positiv-emotional unterfüttert, müsse Priorität in der Wissensgesellschaft haben. Dazu verweist Heckl auf die Macht des Storytelling. Von Geschichten gerahmte Vorlesungen stießen auf Riesenaufmerksamkeit.
 
Eberts Einführungsimpuls setzte Wolfgang Chr. Goede, Wissenschaftsjournalist und Buchmitherausgeber, mit den TUM Kommilitonïnnen interaktiv und partizipativ um. Dazu pitchte er drei Themenkreise.

Neue Hygiene-Standards á la Michael Jackson: Zum Husten in den Keller gehen—Sozial-Boni für 24x täglich Händewaschen—Ächtung virenschwangerer Taschentücher, dafür öffentlich vernehmliches Hochziehen von Nasenschleim (wie in einigen Ländern der Welt der gute Ton es will).


Post-Corona-Resterampe zu Modeaccessoires:
Damen-BHs und Herrentangas aus Masken—Ehe- und Nasenringe aus Kanülen—Ganzkörperkondome aus Schutzanzügen!
 
Ungereimheiten & Tollitäten – Willkommen in Schilda : Bleichmittel in die Hausapotheke, aber wieviel Chlor tut uns gut, Mr Trump? Ausgebuchte Flugzeuge, bei Kino-/Theater-/Museumsverbot? Neuer Klassenkrampf, Ungeimpfte vs. Geimpfte?
 
In Teilgruppen entwickelten die Studierenden ad hoc einen Fächer humoriger Konzepte zwischen Witz, Kritik, Kabarett: Upcycling-Marketing-Knüller, Einwegfingerlinge mit trendig auflackierten Nägeln; börsennotiertes Startup, das den Lockdown in den Locktraum veredelt; Videosketch zum Seniorenkomplott für eine total verrentete Gesellschaft.
 
Das Seminar rund um humorvolle Wissenschaftskommunikation ist experimentell und wird von Buchmitherausgebern Prof. Wolfgang M. Heckl und Privatdozent Dr. Marc-Denis Weitze (alias MDW) geleitet. Für die Ausgestaltung gewannen sie namhafte Buchmitautoren wie Helmut Schleich. Zum Ende des Sommersemesters folgt hier im Blog das Resümee von MDW.

Eine Buchrezension erfolgte u.a. bei spektrum.de:
https://www.spektrum.de/rezension/buchkritik-zu-kann-wissenschaft-witzig/1869748

Kann Wissenschaft witzig? Wissenschaftskommunikation zwischen Kritik und Kabarett.
Weitze, Marc-Denis, Goede, Wolfgang Chr., Heckl, Wolfgang M. (Hg.) :
Berlin, Heidelberg: Springer 2021
https://www.springerprofessional.de/kann-wissenschaft-witzig/18936016
 

Das digitale Kooperationsprojekt „Fantasiereisen“ auf hoher See

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Ein Schiffskonvoi aus der Digital Story des Deutschen Museums. Zeichnung: © Tony Millionaire 2021 Von Mareike Wöhler Alles an Bord? Unser Kooperationsprojekt „Fantasiereisen: Faktisches im Fiktionalen | Fiktionales im Faktischen“ mit dem Zeppelin Museum und dem Goethe-Morgen-Magazin legt gleich ab! Im vergangenen Jahr erhoben wir uns in einer ersten Episode in die Lüfte und präsentierten Ihnen drei zusammenhängende Videos mit Zeppelinen, Ballons und blinden Passagieren. Jetzt lichten wir in drei Digital Stories die Anker und begeben uns aufs Wasser: zu Walen, auf künstliche Inseln und in Phiolen.###MORE### Mit an Bord unserer Digital Story mit dem Titel „TAKEN FROM A BULL WALRUS“. Objektgeschichten zum arktischen Walfang im 18. und 19. Jahrhundert“ sind auch waschechte Nordfriesen: das Dr.-Carl-Häberlin-Friesen-Museum Föhr und die Ferring Stiftung, Amrum und Föhr.   Es gibt viel zu sehen, zu hören und auszuprobieren! Die Links und eine Inhaltsbeschreibung finden Sie im Blog des Deutschen Museum Digital .   Setzen Sie die Segel mit uns! Zu den Videos der Fantasiereisen – Episode 1: „Luft“ gelangen Sie über den Blogpost „Fantasiereisen: Ein digitales Kooperationsprojekt hebt ab“ . Mareike Wöhler Mareike Wöhler ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Team Deutsches Museum Digital. Die Historikerin beschäftigt sich mit den Herstellern, der Fertigung und der Geschichte von Objekten zur Messung von Zeit und Raum, um herauszufinden, warum sich Alltags- und Wissensdinge im Laufe der Jahrhunderte verändert haben. Außerdem erzählt sie gerne digitale Objektgeschichten.

Ihr Tipp für einen Besuch im Deutschen Museum: Steigt man in der Ausstellung „Schifffahrt“ die Treppe am Ewer "Maria" herab, so gelangt man in das etwas verborgene Untergeschoss. Dort kann man bei Möwengekreisch auf dem Deck eines Passagierschiffs in Liegestühlen auf die Nordsee vor Helgoland schauen und sich in die Ferne sehnen. Gleich um die Ecke sieht man, mit welchen Navigations- und Zeitmessinstrumenten die Seefahrer auf den sieben Weltmeeren jahrhundertelang den Kurs hielten.




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